Die Zeit der Tyrannen by Ellin Carsta

Die Zeit der Tyrannen by Ellin Carsta

Autor:Ellin Carsta [Carsta, Ellin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Tinte & Feder
veröffentlicht: 2023-04-17T22:00:00+00:00


12. KAPITEL

Ich weiß nicht, was die Menschen um mich herum von mir erwarten. Und ich bin es auch leid, ihren Ansprüchen genügen zu wollen.

Leopold Lehmann

»Guten Morgen«, grüßte Leopold, als er das Esszimmer betrat. Er war überrascht, dass auch Irma schon nach unten gekommen war, verbrachte sie doch sonst die frühen Stunden, bevor Leopold das Haus verließ und zur Arbeit in die Fabrik ging, oben bei den Mädchen.

»Guten Morgen«, sagte Irma, und auch sein Vater und seine Mutter grüßten, bevor er sich an den Tisch setzte.

»Sieglinde«, rief Leopold laut. »Meinen Kaffee!«

Die Haushälterin kam herbeigeeilt. »Guten Morgen, Herr Lehmann. Natürlich.« Sie griff die unter dem Muff warm gehaltene Kaffeekanne und schenkte ihm ein.

»Die Rühreier sind auch gleich fertig«, meldete sie dann.

»Gut«, brummte Leopold nur. Er konnte nicht verstehen, warum Sieglinde es einfach nicht schaffte, die Eier fertig zu haben, wenn er sich an den Tisch setzte. Zwar erwartete er auch, dass die Eierspeise frisch zubereitet wurde. Doch seiner Meinung nach konnte es so schwer nun wirklich nicht sein, ihm sein Rührei pünktlich zu servieren, schließlich hörte die Haushälterin doch, wenn er die Stufen von oben herunterkam. Zudem wusste er nicht mit Sicherheit zu sagen, wie lange es überhaupt dauerte, Rührei zu braten, schließlich hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal am Herd gestanden. Aber Hexenwerk war das Zubereiten der Eier bestimmt nicht.

Sieglinde verließ eilig das Esszimmer.

»Ich möchte gern mit dir sprechen«, kündigte Irma an und sah ihm in die Augen.

»Na los. Was gibt es denn?« Er beschmierte sich eine Scheibe Brot mit Butter und trank hastig einen Schluck Kaffee. »Verdammt noch mal!«, zischte er, weil der Kaffee viel zu heiß war. »Sieglinde!«, brüllte er daraufhin.

»Was erwartest du, dass sie tun soll?«, fragte sein Vater mit Verachtung in der Stimme. »Pusten wie bei einem kleinen Kind?«

»Was habe ich dir denn getan?«, empörte sich Leopold, als er seinem Vater ins Gesicht blickte. In diesem Moment kam Sieglinde mit hochrotem Kopf und einem Teller mit Rührei in der Hand wieder herein.

»Schneller ging es nicht«, beeilte sie sich zu versichern.

Leopold überlegte kurz, die Haushälterin wegen des zu heiß aufgebrühten Kaffees zurechtzuweisen, sah aber davon ab, als er den vernichtenden Blick seines Vaters wahrnahm. Auch seine Mutter machte irgendwie einen angespannten Eindruck. Und dann noch Irmas Ankündigung, mit ihm sprechen zu wollen … Was war hier eigentlich los? Hatte er etwas verpasst?

»Schon gut«, sagte Leopold zu Sieglinde, als sie das Rührei vor ihm abstellte.

»Vielen Dank«, entgegnete sie und sah dann die anderen drei an. »Kann ich noch etwas bringen?«

»Nein, Sieglinde, danke. Bitte sei so nett und schließ die Tür hinter dir, ja?«, bat Wilhelm.

»Jawohl, Herr Lehmann.«

»Was ist hier eigentlich los?«, fragte Leopold nun und stopfte sich dann eilig eine erste Gabel voll Rührei in den Mund. »Nun sagt bloß nicht, dass ihr mir die Leviten lesen wollt, weil ich gestern den lieben, guten Gustav ein bisschen aufgezogen habe?« Leopold verdrehte die Augen. »Er wird es schon überstehen.«

»Darum geht es nicht«, antwortete Irma. »Aber da du es gerade ansprichst, kann ich dir ja sagen, wie überaus unverschämt und unpassend ich dein Verhalten fand.



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